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Höher hinaus

Leistungsfähiger, effizienter, nachhaltiger: In einem dreijährigen Mammutprojekt hat sich das SCA-Zellstoffwerk im schwedischen Östrand neu erfunden. Für eine der größten Industrieinvestitionen des Landes steuerte ANDRITZ modernste Technologie und umfassendes Know-how bei.

SCA Zellstoffwerk Östrand

SCA Zellstoffwerk in Östrand

© Jan Philip Welchering

An den 26. April 2017 kann sich Ingela Ekebro noch gut erinnern – jener Tag, an dem die Spannung im von ihr verantworteten Helios-Projekt kaum noch steigerbar war. Der mächtige HERB-Rückgewinnungskessel der SCA-Zellstofffabrik im schwedischen Östrand sollte von ANDRITZ um 3,8 Meter verbreitert werden. Eine 460 Tonnen schwere, 60 Meter hohe und 30 Meter breite Kesselseitenwand wurde als Ganzes mit einer hydraulischen Hebevorrichtung versetzt. Nie zuvor war das in einem Werk dieser Größenordnung versucht worden.

SCA und ANDRITZ bei der Arbeit: Göran Bröttgårdh, Ingela Ekebro, Håkan Wänglund und Henrik Grönqvist machen sich ein Bild vom Stand des Helios-Projekts.

© Jan Philip Welchering

500 Männer und Frauen arbeiteten konzentriert und fieberhaft, um die Wand millimetergenau zu versetzen und dabei keine Fehler zu machen. Motorenlärm hallte über das Gelände, aus den Walkie-Talkies drangen ernste Stimmen. Irgendwann dann die erlösende Meldung: Geschafft! Erleichterung und Freude machten sich breit. Die Kapazität des HERB-Rückgewinnungskessels wurde von 3.000 auf heute 5.000 Tagestonnen erhöht. Die Stromproduktion wird künftig so groß sein, dass die Anlage bis zu 50 Prozent der in ihr erzeugten elektrischen Energie in das öffentliche Netz einspeisen kann. Namensgeber Helios, der mächtige Sonnengott, hätte seine Freude an dem Bravourstück.

„Uns fiel ein Stein vom Herzen“, sagt Ingela Ekebro rückblickend. Eineinhalb Jahre später, im September 2018, hat sie in einem lichtdurchfluteten Besprechungsraum im Kontrollzentrum mitten auf dem Werksgelände Platz genommen. Das moderne Gebäude wirkt inmitten des quirligen Fabriklebens wie eine kleine Oase, in der es ruhig, konzentriert und zugleich entspannt zugeht. Loungeartige, farblich angenehm gestaltete Arbeits- und Aufenthaltsbereiche gibt es, holzvertäfelte Wände und stylische Lampen. Man wähnt sich zu Besuch bei einem Digital-Startup. Ingela Ekebro lehnt sich zurück und lächelt. „Für uns war die Erweiterung des Rückgewinnungskessels eine extrem wichtige Etappe.“

Konzentrierte Ruhe: Im neu errichteten Kontrollzentrum des SCA-Zellstoffwerks in Östrand werden permanent alle Produktionsprozesse überwacht.

© Jan Philip Welchering

Ein Quantensprung

Nicht nur auf dieser Wegstrecke wurde der Forstbetreiber und holzverarbeitende Konzern SCA tatkräftig von ANDRITZ unterstützt. Fast drei Jahre dauerte das Helios-Projekt, das eine grundlegende Modernisierung und Erweiterung der Zellstofffabrik nahe der Universitätsstadt Sundsvall vorsah. Während der gesamten Zeit – und zum Teil auch schon in den Jahren davor – engagierte sich dabei ein großes Expertenteam von ANDRITZ aus Schweden, Österreich, Finnland und Deutschland und arbeitete eng mit SCA zusammen. Die Themen waren vielfältig und reichten von der Planung, Konzeption und Steuerung wesentlicher Teile der Werkserweiterung über die Lieferung und Inbetriebnahme von innovativen Technologien bis hin zum Management der
Arbeitssicherheit.


Fast acht Milliarden Schwedische Kronen investierte SCA in die Modernisierung der Fabrik, an der über die gesamte Projektdauer rund 8.000 Mitarbeiter beteiligt waren. Das im Juni 2018 in Betrieb genommene Werk stellt eine der größten Industrieinvestitionen Schwedens dar, und dafür gibt es vor allem einen wesentlichen Grund: Gebleichter Langfaser-Zellstoff ist weltweit gefragt. In den letzten zehn Jahren betrug das globale Marktwachstum 1,5 bis 2 Prozent pro Jahr. „Wir steigern unsere Jahreskapazität nun sukzessive von 430.000 auf 900.000 Tonnen Langfasersulfatzellstoff“, sagt Ingela Ekebro. Das Erreichen dieses Ziels würde Weltrekord bedeuten. Rund die Hälfte des Produktionsvolumens wird für die eigene Herstellung von Papier verwendet, der restliche Anteil wird an externe Tissuepapier-Hersteller verkauft.

Systemwissen von A bis Z

Auch für ANDRITZ war das Projekt in technologischer und organisatorischer Hinsicht ein großer Brocken. Denn wie schafft man es, eine Zellstofffabrik, die in vollem Betrieb ist, grundlegend zu erneuern und währenddessen die laufenden Arbeiten so wenig wie möglich zu stören? Noch dazu auf engstem Raum: Das Werksgelände wird auf der einen Seite vom Meer, auf der anderen Seite von einer Eisenbahnlinie eingerahmt. Platz ist hier Mangelware, die Logistik gestaltete sich entsprechend kompliziert. Maschinen, Komponenten und Arbeitsmaterial mussten just in time auf die Baustelle geliefert werden, und zwar so, dass sich alle Beteiligten nicht gegenseitig behinderten.

„Gemeinsam mit SCA teilten wir das Gesamtprojekt in mehrere Phasen und Teilprojekte auf, die wir kleinschrittig, flexibel und in enger Abstimmung abarbeiteten“, erinnert sich Henrik Grönqvist, Project Director von ANDRITZ. „Natürlich gibt es bei einem Projekt in dieser Größenordnung zahlreiche technische und organisatorische Hürden“, ergänzt Göran Bröttgårdh, der für ANDRITZ als kaufmännischer Projektleiter den wirtschaftlichen Part des Vorhabens steuerte. „Das A und O war und ist deshalb eine offene, vertrauensvolle und professionelle Kommunikation.“


Ergänzend zur Erweiterung des HERB-Rückgewinnungskessels war ANDRITZ in weitere Prozessbereiche involviert. Insgesamt gab es zehn separate Inbetriebnahmen – fünf in der Weißlaugenanlage, jeweils zwei im Bereich des Holzplatzes und der Zellstofftrocknung und eben den Rückgewinnungskessel. Dabei lieferte und installierte der Konzern folgende Produktionstechnologien und Ausrüstungen: eine Holzentrindungsanlage mit zwei parallel angeordneten Entrindungs- und Hackschnitzellinien, ein neues, energiesparendes Zellstofftrocknungssystem, Rekaustifizierungsmaschinen, die ANDRITZ-LimeFlash-Technologie sowie eine Verbesserung des bestehenden Holzstaubverbrennungssystems zur Kapazitätserhöhung des aktuell verwendeten Drehrohrofens. Sowohl einzeln als auch in Summe tragen diese Komponenten dazu bei, die Leistung und den Wirkungsgrad des Werks zu steigern und den Einsatz von Ressourcen sehr niedrig zu halten.

Kompletter Holzplatz mit zwei parallel angeordneten Entrindungs- und Hackschnitzellinien sowie Rindenverarbeitung mit zwei HQ-Press-Rindenpressen für einen ausgezeichneten Rindentrockengehalt. Der Hackschnitzeltransport wurde umfangreich modernisiert.

© Jan Philip Welchering

Zellstofftrocknungssystem von ANDRITZ mit energiesparenden Technologien, die die Betriebskosten des Werks deutlich senken. Das System enthält eine Energierückgewinnung aus der Kesselabwärme, eine Feinsortierung sowie ein Doppelsiebentwässerungssystem mit vollautomatischer Bahnüberführung, das strengste Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltvorschriften erfüllt

© Jan Philip Welchering

Wissen und Mut

„Nachhaltigkeit hatte auf allen Ebenen oberste Priorität für uns“, sagt Ingela Ekebro. „Und so wollten wir auch in puncto Arbeitssicherheit Maßstäbe setzen.“ Angesichts der harten Winter in Östrand war das schwierig: Die Temperatur sinkt auf minus 20 Grad, Schneehöhen bis zu 1,7 Meter sind nicht selten, hartnäckiges Eis bedeckt die Straßen und die Fabrik. All das machte die Arbeiten auf der Baustelle, bei denen häufig schwere Lasten gehoben und versetzt werden mussten, gefährlich. „Dank des unermüdlichen Einsatzes von ANDRITZ ist es uns gelungen, das Unfallniveau möglichst niedrig zu halten“, sagt Ingela Ekebro.

„Nicht nur technisches Know-how ist der Grund, warum unsere Wahl auf ANDRITZ fiel“, ergänzt Håkan Wänglund, Projektchef von SCA und rechte Hand von Ingela Ekebro. „Ja, die schlanken Prozess-Lösungen des Konzerns, die moderne Technologie und ihre Energieeffizienz überzeugen.“ Hinzu komme aber noch ein weiterer Aspekt, und der ist beiden SCA-Ingenieuren mindestens ebenso wichtig: „ANDRITZ traut sich, neue und ungewöhnliche Ideen anzugehen und umzusetzen, auch wenn anfangs nicht immer zu 100 Prozent sicher ist, wie das Ergebnis im Detail aussehen wird“, sagt Wänglund, während Ingela Ekebro ihm nickend beipflichtet: „Diesen Pioniergeist schätzen wir. Nur mit Mut setzt man Maßstäbe.“

SCA auf einen Blick

Das schwedische Forstproduktunternehmen SCA wurde 1929 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Sundsvall. Es besitzt 2,6 Millionen Hektar Forst, was der Fläche Belgiens entspricht. Die Ressource wird, gerade weil sie intensiv genutzt wird, umsichtig und nachhaltig bewirtschaftet. Laut SCA wächst die Nettofläche des Waldes Jahr für Jahr. Das Unternehmen bietet Papier für Verpackung und Druck, Zellstoff, Holzprodukte, erneuerbare Energien und Dienstleistungen für andere Waldbesitzer. Im Jahr 2017 beschäftigte SCA rund 4.000 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von rund 16,7 Milliarden Schwedischen Kronen.

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